Akten lassen „Wilde Euthanasie“ vermuten

Neue Aktenfunde belegen für die Zeit von 1939 bis 1941 die Existenz eines Anstaltfriedhofs. Zudem ist für diesen Zeitraum eine stark erhöhte Sterblichkeitsrate dokumentiert. | Foto: TILAK
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  • Neue Aktenfunde belegen für die Zeit von 1939 bis 1941 die Existenz eines Anstaltfriedhofs. Zudem ist für diesen Zeitraum eine stark erhöhte Sterblichkeitsrate dokumentiert.
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Die Ereignisse im Psychiatrischen Krankenhaus Hall während der Nazi-Zeit sind ein dunkler Fleck in der Tiroler Geschichte. Neueste Funde lassen vermuten, dass es in Hall neben der Deportation von Kranken in Tötungsanstalten auch zu „wilder Euthanasie“ gekommen ist.

HALL (gstr). Die historische Tatsache, dass während der Nazi-Diktatur Menschen mit psychischen Erkrankungen unter dem perfiden Vorwand der „Reinhaltung des rassischen Blutes“ systematisch ermordet wurden, ist seit langem bekannt. Ebenso das Faktum, dass auch Patienten des Psychiatrischen Krankenhauses Hall in Tötungsanstalten deportiert wurden. Zumindest 360 Patienten aus Hall sind auf diesem Wege der gezielten Ermordung zugeführt worden – im Rahmen der „Aktion T4“, wie Aufzeichnungen aus der Zeit belegen. Im Rahmen von Nachforschungen, die der Historiker Oliver Seifert im Auftrag der TILAK durchführte, stieß er jedoch auf Dokumente, die einen Anstaltsfriedhof belegen, der auf einem Feld nahe des Krankenhauses angelegt wurde. Dort sollen in den Jahren 1939 bis 1945 mindestens 220 Menschen bestattet worden sein. Auffallend ist dabei, dass die Sterblichkeitsrate unter den Patienten gerade in den letzten Kriegsjahren signifikant höher lag, als in den Jahren davor. Daher vermuten die Experten, dass es in Hall zu sogenannter „wilder Euthanasie“ gekommen ist.

Dem Hunger preisgegeben?
Im Jahr 1941 wurde das Programm der Nazis zur gezielten und systematischen Ermordung von psychisch Kranken zwar eingestellt, allerdings legen die jüngsten Aktenfunde nahe, dass die Euthanasie versteckt weiterbetrieben wurde. In Hall könnte dies bedeuten, dass ein Großteil jener 220 Personen, die auf dem Friedhof vermutet werden, durch Hunger zu Tode gekommen ist.

Lückenlose Aufarbeitung
„Die TILAK sieht es als ihre moralische Verpflichtung und als ihre Verpflichtung den Angehörigen gegenüber, die Geschichte des Anstaltsfriedhofs restlos zu erforschen. Aus diesem Grund wurden im Schnellverfahren 400.000 Euro genehmigt, mit denen die Aufarbeitung finanziert wird“, stellt der Kaufmännische Direktor des LKH Hall, Wolfgang Markl, klar. Dazu zählt zunächst die archäologische Ausgrabung, die voraussichtlich im März 2011 starten und etwa drei Monate in Anspruch nehmen wird. Erst dann wird die Fläche für das Bauvorhaben freigegeben.

Die Ausgrabung wird von Dr. Alexander Zanesco von der Stadtarchäologie Hall in Kooperation mit der Kaufmännischen Direktion des Landeskrankenhauses Hall geleitet. Als Historiker ist von Seiten der Psychiatrie Mag. Oliver Seifert eingebunden. Ebenfalls eingebunden ist die Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München mit ihrem Konservator Dr. George McGlynn. „Die Einrichtung besitzt große Erfahrung bei der Analyse von Knochen, mit deren Hilfe zum Beispiel der Ernährungszustand einer oder eines Verstorbenen eruiert werden kann. DNA-Untersuchungen erfolgen bei Bedarf durch die Gerichtsmedizin in Innsbruck, vertreten durch den Leiter des Schwerpunktes ‚Forensische Molekularbiologie‘ Dr. Walther Parson“, so der Gesamtprojektleiter Dr. Zanesco.

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